„JEDEM DAS SEINE“
Groß prangt dieser zweckentfremdete Schriftzug über dem Tor des Konzentrationslagers Buchenwald, um jedem einzelnen Häftling seiner letzten mentalen Kräfte zu berauben. Zweckentfremdet deswegen, weil „suum cuique“ (=Jedem das Seine) eigentlich ein Grundsatz der antiken römischen Rechtsstaatlichkeit war, welchen die Nationalsozialisten für ihre Zwecke missdeuteten. Mit Rechtsstaatlichkeit hatte das NS-Regime mit ihrer Willkür und ihren Schauprozessen selbstverständlich nichts am Hut, aber die Inhaftierten des KZ sollten wissen, dass sie in den Augen der Nazis würdelos waren und diesen Zustand auch verdienten.
Der Besuch der Gedenkstätte Buchenwald war für uns Schüler mehr als nur eine historische Exkursion. Denn wer in Deutschland lebt, muss sich auch mit dessen Geschichte befassen. Um ein Land verstehen zu können, um dessen Gesellschaft verstehen zu können, muss man sich auch mit dessen Vergangenheit befassen – egal, wie unangenehm das sein mag. Uns unserer Verpflichtung gegenüber der deutschen Erinnerungskultur bewusst, wurden wir in einer informativen Führung durch die Gedenkstätte über die Zwangsarbeit, Menschenversuche und Tötungsmechanismen wie eine perfide Genickschussanlage aufgeklärt. Für uns alle wurde der Horror dieses Ortes spätestens beim Betreten des Krematoriums fühlbar. An dem Ort, an dem Leichen wie am Fließband in Verbrennungsöfen geschoben wurden, gab es keine Möglichkeit einer Trauerfeier, keinen Platz für Mitleid. Dieser Raum repräsentiert die Widerwärtigkeit und Inhumanität des NS-Regimes.
Von 1937 bis 1945 wurde dieses Konzentrationslager genutzt und 56.000 Menschenleben fielen der Brutalität der Nazis zum Opfer. Nach der Befreiung am 16. April 1945 führten die amerikanischen Soldaten 1000 Bürger der Stadt Weimar durch Buchenwald vorbei an Leichenbergen und den Orten des Horrors. Die meisten dieser Menschen gaben an, nichts von diesem Lager gewusst zu haben. Dies aber ist völlig unrealistisch, wenn man in Betracht zieht, wie sehr die Infrastruktur und der Bedarf des KZ mit der Stadt Weimar verbunden war. Doch damit ist die Geschichte Buchenwalds noch nicht vorbei, denn nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurde bekannt, dass die Sowjetunion diesen Ort noch bis 1950 als Internierungslager nutzte, in dem 7000 Menschen ums Leben kamen.
Das Vergessen gilt es zu verhindern, denn immer mehr Zeitzeugen sterben und viele Leute fangen an, auf die gleiche Art von plumpem Rassismus zu hören wie damals. Wenn Minderheiten ausgegrenzt und diskriminiert werden, wenn Stereotypen und Vorurteile unser Denken über andere bestimmt, dann haben wir nichts aus der Geschichte gelernt. Doch wir können das Vergessen verhindern! Lasst uns als Generation anfangen, unsere Großeltern zu fragen: „Wie war es damals? “ Lasst uns Besuche in KZs oder im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen zu einem Pflichtteil unserer Bildung machen. Wer unsere Erinnerungskultur abschaffen will und den Nationalsozialismus als einen „Vogelschiss“ abtut wie Gauland und die AfD, ist ein Feind unserer Demokratie.
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